Zur Urteilsverkündung vom Hamburger Verfassungsgericht

„Die Würde des Menschen ist unantastbar“! So heißt es im Artikel 1 des Grundgesetzes. Alle Menschen haben das Recht, ihre Persönlichkeit frei zu entfalten und ein Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Laut Grundgesetz bekennt sich das deutsche Volk auch zu „unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt“. Das heißt, dass der gemeinsam geschaffene Reichtum dafür genutzt werden soll, allen Bildung, Beruf und Gesundheit zu ermöglichen. Dafür besteht das Recht auf demokratische Mitwirkung, damit die Lebensbedingungen stetig verbessert werden. Denn Würde ist vor allem auch eins: Recht auf Hoffnung!

Krieg und die damit gemachten Geschäfte verletzen dieses Menschen- und Grundrecht. Auch die Rüstungstransporte über den Hamburger Hafen von jährlich allein über 800 Container mit Munition und insgesamt über 18% der gesamten deutschen Rüstungsexporte tragen dazu bei. Mit der Volksinitiative wollen wir dieses zynische Geschäft beenden, um mit dem Handel ziviler Güter und kulturellem Austausch über die Hafenstädte in aller Welt die Würde aller Menschen tagtäglich auszubauen.

Ein Anliegen, das nicht jedem gefällt. Über 16.000 Hamburger:innen haben dafür unterschrieben, womit wir erfolgreich zur zweiten Stufe dem Volksbegehren gekommen sind. Doch anstatt dieses Friedensanliegen aufzugreifen, hat der Hamburger Senat die Überprüfung des Volksbegehrens vor dem Landesverfassungsgericht beantragt – einzig und allein zur Freude der Rüstungsindustrie. Die Richter:innen des Hamburger Landesverfassungsgerichts haben sich also damit befasst und die Urteilsverkündung auf den heutigen Tag gelegt. Offensichtlich in Unkenntnis, dass diese auf den Antikriegstag fällt – einen Tag der Friedensbewegung! Dies hat in der Gerichtsverhandlung im Juli nicht nur für Erheiterung im Gerichtssaal gesorgt, es ermöglicht uns auch, das Urteil heute gemeinsam einzuschätzen.

Bekanntgegeben haben die Richter:innen, dass das Volksbegehren nicht durchgeführt werden darf. Die Begründung war formal und technokratisch, weil sie nur so die geschichtliche Bedeutung des Grundgesetzes und die heutige Brisanz der Waffenexporte umgehen konnten. Andernfalls hätten sie uns Recht geben müssen.

Wir sehen die Geschichte so:

Frieden ist unabdingbare Grundlage zur Verwirklichung der Grundrechte und der Menschenrechte. Das Sozialstaatsgebot des Grundgesetzes, welches Bedingung für die soziale Sicherheit und Entfaltung eines jeden Einzelnen ist, wird aktuell verletzt, wenn zur Aufrüstung des deutschen Militärs kein Geld z.B. für eine bedarfsdeckende Kindergrundsicherung, eine Erhöhung des BAföGs oder ein anständiges Bürgergeld da sein soll. Entscheidend ist es also, die Geschäfte der Rüstungsunternehmen zu beenden, so wie es sich die Vordenker des Grundgesetzes vorgenommen haben. Mit der Vorstellung, dass von deutschem Boden nie wieder Krieg ausgehen wird und dem Ziel, das deutsche Volk dafür von Nationalismus und Militarismus zu befreien, heißt es in dem Verfassungsentwurf, der damals, 1948, zur Formulierung des Grundgesetzes diente:

„Schließlich glaubt der Konvent, daß das Grundgesetz einer Bestimmung bedürfe, wonach Handlungen unter Strafe zu stellen sind, die in der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören; vor allem aber alle Handlungen, die in der Absicht unternommen werden, die Führung eines Krieges vorzubereiten. Das Recht des Bundes soll künftig die Möglichkeit bieten, Personen zur Rechenschaft zu ziehen, deren Tätigkeit mit Vorbedacht darauf gerichtet ist, von seinem Gebiet aus den Frieden in gefährlicher Weise zu gefährden, möge es sich um geheime Aufrüstung handeln oder um militaristische und nationalistische Verhetzung der Gemüter. Personen, die sich solcher Verbrechen schuldig machen, wären nach ihrer Verurteilung außerhalb des Schutzes bestimmter Grundrechte zu stellen.“

Am 1. September 1948 – also heute vor 75 Jahren – trat der Parlamentarischer Rat erstmalig zusammen und formulierte auf dieser Unterlage das Grundgesetz mit seinem Friedensgebot in Artikel 26. Demnach sind Rüstungsgeschäfte nicht grundrechtlich geschützt, sondern grundsätzlich verboten.  Dies spezifiziert der wissenschaftliche Dienst des Bundestags 2018: „Auf der anderen Seite dürfte der Frieden ein so hohes Gut darstellen, dass praktisch alle privaten Interessen dahinter zurücktreten müssen. Ein Exportverbot für Kriegswaffen wäre somit wohl angemessen.“

Anders sieht es der Hamburger Senat, der ein unzeitgemäßes und unverhältnismäßiges Verbot wittert. Wir dürfen den armen Unternehmern ja nicht ihre Profite wegnehmen! In der Gerichtsverhandlung wurde aus der Senatskanzlei vertreten, ein Verbot schränke die „Berufsfreiheit“ der Rüstungskonzerne ein. Eine Freiheit, Geld mit dem Tod anderer Menschen zu verdienen? Die Berufsfreiheit besteht dagegen in Einheit mit den anderen Grundrechten. Sie ist als Konsequenz gegen die menschenverachtende Zwangsarbeit im Faschismus ins Grundgesetz aufgenommen worden und ermöglicht es ja gerade, produktiver Teil der Gesellschaft zu sein. Nun ist es besonders ironisch, dass genau diese Berufsfreiheit zur Unternehmensfreiheit ausgelegt werden soll, die den Rüstungsfirmen die ihr Kapital im zweiten Weltkrieg mit Zwangsarbeit aufbauen konnten, weitere Waffengeschäfte ermöglicht. Der Beruf Waffenhändler existiert nicht. Man wird Ingenieur, Hafenarbeiter, Transporteur oder auch Fuhrunternehmer. Für all diese Berufsgruppen gibt es reichlich zu tun für eine zivile Welt.

Mit dieser Argumentation konnten wir das Verfassungsgericht in Verlegenheit bringen. In der Urteilsverkündung tauchte die Berufsfreiheit nicht mehr auf. Stattdessen wurde sich auf die Freizügigkeit des Warenverkehrs aus Artikel 73 Abs. 5 bezogen. Doch auch hier gilt das Gleiche: Sie gilt nur in Einheit mit dem gesamten Grundgesetz. Es kommt darauf an, welche Zwecke die Waren erfüllen und ob sie die Würde der Menschen wahren.

Teil dieser Grundgesetzeinheit ist auch das Friedensgebot in Artikel 26 Grundgesetz. Es ist nicht geeignet, wie im Urteil gefasst, die Aufgabe der Hamburger Verfassung –Mittlerin im Geiste des Friedens – zu sein,  lediglich der Bundesebene zuzuschieben.

„Wir wollen ohne Waffen und Atombomben auskommen“, war, was Waldemar Reuter vom Deutschen Gewerkschaftsbund am 1. September 1957, dem ersten Antikriegstag in der BRD ausrief. Eine totale Abrüstung zugunsten einer weltweiten Friedensordnung ist auch heute richtig. Wir wollen verwirklichen, was unsere Vorgänger in die Welt gebracht haben und die Präambel der Hamburger Verfassung neu zur Geltung bringen: Frieden, Völkerverständigung und die Lenkung der Wirtschaft zum Allgemeinwohl!

Deshalb treffen wir uns am kommenden Dienstag, wie immer zum Plenum, um die Urteilsverkündung gemeinsam auszuwerten und zu beraten, was wir aus der Gerichtsverhandlung für unser Wirken für einen zivilen Hamburger Hafen machen. Ihr seid alle herzlich eingeladen, mitzutun. Jede Waffe weniger ist ein Mehr an Diplomatie und Verständigung und schafft eine Perspektive für Friedensverhandlungen und -entwicklungen in allen Konflikten der Welt.

Die gesamte Hamburger Friedensbewegung ist neu gefordert. Der Sieg der Vernunft kann nur der Sieg der Vernünftigen sein! Damit das Recht auf Hoffnung für alle Wirklichkeit werden kann.

In diesem Sinne enden wir mit ein paar Worten des antifaschistischen, friedensbewegten und kritischen Dichters Erich Fried

In der letzten Zeit
Geschehen
fast täglich
Dinge
die ahnen lassen
Es kann
Vielleicht wirklich
die letzte Zeit sein

Vielleicht aber
kommt es auf uns an
ob sie
es ist
oder nicht.

 

Das Urteil selbst könnt ihr hier finden: https://www.hamburgisches-verfassungsgericht.de/entscheidungen/hverfg-3-2022

Den Pressespiegel zur Urteilsverkündung findet sich hier:
https://ziviler-hafen.de/pressespiegel-zur-urteilsverkuendung

 

Aufnahme des Redebeitrag, am 02. September 2023, auf dem Ludwig-Baumann-Fest: