Kundgebung bei den Nordbremer Bürgern gegen den Krieg

Rede der Hamburger Initiative gegen Rüstungsexporte,

8. März 2024, Nordbremen

 

Liebe Mitstreiter, Liebe Nordbremer, Liebe Friedensbewegte,

„Brot und Frieden!“ – mit dieser Losung haben Frauen am 8. März 1917 in Russland gestreikt und einen Anstoß zur russischen Revolution gegeben. Auf diesen Tag wurde von da an der Internationale Frauentag gelegt, den wir auch heute auf der Kundgebung begehen. Inspiriert durch den nationalen Frauentag der streikenden Textilarbeiterinnen in den USA, begründeten die europäischen sozialdemokratischen Arbeiterinnen um Clara Zetkin den Tag im Jahr 1911. Im Mittelpunkt stand das Frauenwahlrecht, verbunden mit dem Wirken für sozialen Fortschritt und Frieden. Immer mehr Frauen waren in den Fabriken tätig und damit gestaltender Teil der gesellschaftlichen Produktion und der Arbeitskämpfe. Diese progressive Entwicklung versuchten die Kapitalisten und Regierenden mit Lohndrückerei für alle durch schlechtere Bezahlung der Frauen und der Verweigerung des allgemeinen Wahlrechts aufzuhalten; zur Rettung der Monarchie, des Militarismus und der fortgesetzten Ungleichheit. Die Zuspitzung dieser Politik war der erste Weltkrieg, mit dem die Menschheit überzogen wurde. Die Arbeiterinnen und Arbeiter haben diesen Unsinn beendet und den ausstehenden Fortschritt durchgesetzt: Mit der Weimarer Republik wurde das allgemeine Wahlrecht für alle eingeführt. Frauen, junge Menschen ab 20 Jahren und alle mit geringem Einkommen durften nun auch wählen. Die Monarchie war beendet! Die sogenannten Arbeitgeber mussten die Einführung des 8-Stunden-Tags hinnehmen. Eine enorme Verbesserung der Arbeitsbedingungen! Und mit dem – durchaus widersprüchlichen – Friedensvertrag von Versailles wurde mit der Demontage der deutschen Reichswehr Abrüstung durchgesetzt. Richtig wäre gewesen, diese Abrüstung nicht nur der deutschen Republik aufzuerlegen, sondern sie als Maßstab für alle europäischen Staaten zu setzen.

Heute haben wir noch viel mehr entwickelt. Der technische Fortschritt ist so weit, dass jede und jeder sehr viel weniger arbeiten müsste, um alle Menschen gut versorgen zu können und mit der sekundengenauen Kooperation in der hochglobalisierten Welt können die hergestellten Güter gerecht verteilt werden. Die Wissenschaft erweitert dies ständig mit neuen Erkenntnissen. Wenn wir zu einer egalitären Weltordnung kommen und entsprechend kooperieren, können die globalen Probleme, Klimawandel, Krieg und Armut im Nu gelöst werden und auch die Gleichberechtigung der Geschlechter verwirklicht werden.

Die Verteidigung der „westlichen Werte“ in dem verheerenden Abnutzungskrieg in der Ukraine und dem brutalen Völkermord in Gaza hält die gesamte Menschheit dagegen in unproduktiver Unterentwicklung gefangen, um sprudelnde Profite für einige Wenige zu garantieren. Am Ausverkauf der Ukraine, an Israel als westlichem „Vorposten“ zur Sicherung von Einfluss und Handelswegen und an der sanktionsbasierten Abschottungspolitik gegen Russland und China verdienen nur die globalen Monopole und Rüstungsunternehmen. Für die Bevölkerung soll – wieder – gelten: „Kanonen statt Butter!“. Damit steigern die Regierenden perspektivlos ihre Aggressivität mit der Forderung nach immer mehr Aufrüstung. Aktuell sollen es die Taurus-Marschflugkörper sein, welche den Krieg in der Ukraine bedrohlich weiter eskalieren würden. Am lautesten schreien dafür heute einige patriotische Frauen. Allen voran Marie-Agnes Strack-Zimmermann, die, gekleidet im schneidigen Taurus-Unsolidaritäts-T-Shirt mit der Aufschrift, „Taurus für die Ukraine. Zusammen bis zum Sieg“, nach immer mehr Aufrüstung kräht. Anna-Lena Baerbock ist unterwegs, um diese sogeschimpfte feministische Außenpolitik als „Freiheit“ und „Fortschritt“ zu verkaufen. Schnöde werden die Frauenrechte mit individuellen Karriererechten verwechselt. Das ist nicht im Sinne der Vorkämpferinnen für die Frauenrechte, sondern finstere Restauration, die die Ungleichheit noch weiter steigert. Wie Tucholsky schon sagte: „Eine Katze, die eine Maus tötet, ist grausam. Ein Wilder, der seinen Feind auffrißt, ist grausam. Aber das grausamste von allen Lebewesen ist eine patriotische Frau.“

Aus den Kämpfen der Frauenrechtlerinnen können wir lernen, dass wir mit unserem Friedenswirken richtig liegen. Es ist gerade jetzt notwendig. Wenn wir die auf der gesellschaftlichen Tagesordnung stehenden Fortschritte durchsetzen, beendet das die kriegerischen Konflikte auch in der Ukraine und Nahost und verhindert eine weitere Zuspitzung der gespannten Weltlage. Weltweit befinden wir uns dafür in guter Gesellschaft. Die Klage Südafrikas gegen Israel vor dem internationalen Gerichtshof (IGH) gegen den Völkermord in Gaza sind Teil eines weltweiten Aufbruchs für Frieden und internationale Entwicklung. Hervorgebracht durch die antikolonialen Kämpfe in diesen Ländern kulminieren hier die massenhafte weltweite Bewegung gegen die rechtsextreme israelische Regierung (und ihre UnterstützerInnen der westlichen Länder) und zahlreiche Friedensinitiativen des globalen Südens, die mit dem Ukrainekrieg schon begonnen hatten, zu einem neuen anti-kolonialen Aufbruch. Geltende Maßstäbe des Völkerrechts werden für alle neu verbindlich gesetzt: Alle Staaten und Bevölkerungen haben jederzeit die Verantwortung, Völkermord zu verhindern und dafür Waffenlieferungen einzustellen, auch zum Unwillen der Profiteure aus der Rüstungsindustrie. In den Niederlanden wurde entsprechend auf Initiative von Menschenrechtsorganisationen der Export von Teilen des F-35-Bombers nach Israel verboten, Nicaragua verklagt derzeit die Bundesrepublik wegen „Begünstigung zum Völkermord“ und auch hierzulande wird gegen die Bundesregierung mit derselben Begründung Strafanzeige gestellt. Eine gute Grundlage, um von hier aus mitzuziehen!

Mit der Hamburger Initiative gegen Rüstungsexporte wirken wir in diesem Sinne für einen Stopp aller Waffenlieferungen aus dem Hamburger Hafen. Aufbauend auf den Errungenschaften im Grundgesetz und der Hamburger Verfassung – Hamburg soll als Hafenstadt „Mittlerin zwischen allen Erdteilen sein“ – haben wir als erste Stufe der Volksgesetzgebung 2021 die Volksinitiative erfolgreich durchgeführt. Vor der zweiten Stufe, dem Volksbegehren, hat uns, ähnlich wie hier in Bremen bei den Atomtransporten, das Verfassungsgericht aufgehalten, auf Initiative des (rot-grünen) Hamburger Senats. Die Diskussion in der Bevölkerung, wem der Krieg wirklich nützt, war ihnen viel zu gefährlich, das Friedenswirken zu heikel und das zu erreichende Rüstungsexportverbot viel zu weitreichend. Noch klarer als in dem Bremer Urteil liegt nun neu offen: die Geschäftemacherei der Rüstungsindustrie soll ihrer Meinung nach über allem stehen, dafür wird ein „Grundrecht“ auf Waffenlieferungen herbeifabuliert und der Hafen dem Allgemeinwohl entzogen. Allerdings sind, anders als mit den Atomtransporten, mit der Genehmigung für Waffenlieferungen keine Wege vom Bund festgelegt. Wir gehen nach wie vor davon aus, dass wir über die Wege föderal in Hamburg entscheiden können. Den politisch Verantwortlichen sagen wir frei nach Willy Brandt: Mehr Demokratie wagen!

Mit dem Grundgesetz ist bereits etwas anderes entwickelt, das wir heute neu zur Geltung bringen wollen. Mit der Vorstellung, dass von deutschem Boden nie wieder Krieg ausgehen soll und dem Ziel, die Deutschen von Nationalismus und Militarismus zu befreien, heißt es in dem Verfassungsentwurf, der damals, 1948, zur Formulierung des Grundgesetzes diente:

„Schließlich glaubt der Konvent, daß das Grundgesetz einer Bestimmung bedürfe, wonach Handlungen unter Strafe zu stellen sind, die in der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören; vor allem aber alle Handlungen, die in der Absicht unternommen werden, die Führung eines Krieges vorzubereiten. Das Recht des Bundes soll künftig die Möglichkeit bieten, Personen zur Rechenschaft zu ziehen, deren Tätigkeit mit Vorbedacht darauf gerichtet ist, von seinem Gebiet aus den Frieden in gefährlicher Weise zu gefährden, möge es sich um geheime Aufrüstung handeln oder um militaristische und nationalistische Verhetzung der Gemüter. Personen, die sich solcher Verbrechen schuldig machen, wären nach ihrer Verurteilung außerhalb des Schutzes bestimmter Grundrechte zu stellen.“

Am 1. September 1948 trat der Parlamentarische Rat erstmalig zusammen und formulierte auf dieser Unterlage das Grundgesetz mit seinem Friedensgebot und den besagten Artikel 26: „(1) Handlungen, die geeignet sind und in der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören, insbesondere die Führung eines Angriffskrieges vorzubereiten, sind verfassungswidrig. Sie sind unter Strafe zu stellen.“ Demnach sind Rüstungsgeschäfte nicht grundrechtlich geschützt, sondern grundsätzlich verboten.

Anders sieht es der Hamburger Senat, der ein unzeitgemäßes und unverhältnismäßiges Verbot wittert. Wir dürfen den armen Unternehmern ja nicht ihre Profite wegnehmen! In der Gerichtsverhandlung wurde aus der Senatskanzlei vertreten, ein Verbot schränke die „Berufsfreiheit“ der Rüstungskonzerne ein. Eine Freiheit, Geld mit dem Tod anderer Menschen zu verdienen? Die Berufsfreiheit besteht dagegen in Einheit mit den anderen Grundrechten. Sie ist als Konsequenz aus der menschenverachtenden Zwangsarbeit im Faschismus ins Grundgesetz aufgenommen worden und ermöglicht es ja gerade, produktiver Teil der Gesellschaft zu sein. Der Beruf „Waffenhändler“ existiert nicht. Man wird Ingenieur, Hafenarbeiter, Transporteur oder auch Fuhrunternehmer – heutzutage alles auch mit „In“. Für all diese Berufsgruppen gibt es reichlich zu tun für eine zivile Welt.

Was nehmen wir uns also als Nächstes vor? Deutschland, besonders auch der Norden, soll mit dem anstehenden NATO-Manöver „Steadfast Defender“ zur logistischen Drehscheibe für den Krieg gegen Russland werden. Erste Waffentransporte kommen bereits in unseren Häfen an. Anstatt die Infrastruktur und die Bevölkerung für den Krieg zu „ertüchtigen“, brauchen wir sozial-ökologische Investitionen in die öffentliche Hand für Bildung, Kultur, Soziales und Gesundheit. Das zu erwirken, ist gemeinsame Aufgabe von uns Norddeutschen. In Hamburg machen wir nun als Initiative weiter und streiten gerade zusammen mit den Hafenarbeiter:innen dafür, dass der Hafen in öffentlicher Hand bleibt und nicht an die privaten Riesenreederei MSC verkauft wird. Das ist eine sehr viel bessere Grundlage, um die Rüstungsprofite der Unternehmen zu beenden. Frieden schaffen und Kriege führen wird direkt von uns beeinflusst, je nachdem was wir jeden Tag aus dem Hafen transportieren. Beenden wir also alle Waffentransporte in die Ukraine, nach Israel, nach Saudi-Arabien in die Türkei und liefern nirgendwohin. Beenden wir sie aus einem internationalen Hafen, damit die anderen folgen können. Damit verschaffen wir dem Friedensgebot des Grundgesetzes heute neu Geltung. Darin liegt die eigentliche Bewährung der Demokratie – die Völker kennen den Unterschied zwischen realer Bedrohung und eingeredeter Bedrohung. Wenn wir den Krieg nicht mitmachen, wird es ihn auch nicht geben. Die sozialdemokratischen Arbeiterinnen und Frauenrechtlerinnen von damals haben das bereits erkannt, wie Rosa Luxemburg in ihrer Verteidigungsrede vor der Frankfurter Strafkammer 1914 sagt: „Wir denken vielmehr, daß über das Zustandekommen und den Ausgang der Kriege […] die große Masse des werktätigen Volkes entscheidet und zu entscheiden hat. Wir sind der Auffassung, daß Kriege nur dann und nur so lange geführt werden können, als die arbeitende Volksmasse sie entweder begeistert mitmacht, weil sie sie für eine gerechte und notwendige Sache hält, oder wenigstens duldend erträgt. Wenn hingegen die große Mehrheit des werktätigen Volkes zu der Überzeugung gelangt – und in ihr diese Überzeugung, dieses Bewußtsein zu wecken ist gerade die Aufgabe, die wir Sozialdemokraten uns stellen –, wenn, sage ich, die Mehrheit des Volkes zu der Überzeugung gelangt, daß Kriege eine barbarische, tief unsittliche, reaktionäre und volksfeindliche Erscheinung sind, dann sind die Kriege unmöglich geworden.“

Die gute Aufgabe, dieses Bewusstsein zu wecken, liegt heute bei uns als Friedensbewegung. Begehen wir also in diesem Sinne den heutigen Tag für: Brot, Frieden, Würde!

 

Hier findet ihr die Rede auch als [pdf] zum Download.